Entoptionalisierung

0207bohlen

Einige moderne Lieblingsausdrücke für eigentlich ziemlich gute Ideen gehören zu den hässlichsten Wortschöpfungen der letzten Jahre. Nachhaltigkeit. Entschleunigung. Achtsamkeit. Ganzheitlichkeit. Ich möchte dieser Sammlung ein weiteres hinzufügen, das fast noch besser als die anderen zu Spiekeroog passt, zumal im Winter: Entoptionalisierung. Die Möglichkeiten auf einer Insel sind ohnehin schon begrenzt, das ist ja das Wunderbare an ihnen. Bereits die An- und Abreise unterliegt dem Gezeitenkalender: Bei Hochwasser geht’s, sonst nicht. Der Fahrplan ändert sich entsprechend ständig, die Abfahrzeiten liegen oft zu brutalen Zeiten: Die letzten vier Tage etwa ging es ab Neuharlingersiel am Mittwoch um 12 Uhr, am Donnerstag um 6 Uhr und 17.40 Uhr, am Freitag um 6.45 Uhr und 18 Uhr, heute um 6.40 Uhr und 16.40 Uhr. Ist der Wasserstand niedrig wie letzte Woche, kann das alles noch mal kurzfristig umgeworfen werden.

Ist man heil auf Spiekeroog gelandet, schnurrt die schöne grüne Insel, die da vor einem liegt, schnell auf eine Handvoll Sträßchen zusammen – eben, weil sie so schön und grün ist. Ganz Spiekeroog ist Naturschutzgebiet, von den 18 Quadratkilometern darf man etwa 90 Prozent – die gesamte Osthälfte und die Dünenlandschaft im Westen – nicht betreten. Da bleibt also nicht viel mehr als das Dorf selbst, der Strand und neben einigen Dünenpfaden die beiden gepflasterten Hauptwege: einer zum (natürlich im Winter geschlossenen) Zeltplatz an der Westspitze und ein Rundweg in Richtung der Hermann-Lietz-Schule, des einzigen Inselinternats Deutschlands.

Aber es wird noch übersichtlicher: Von den Geschäften, Restaurants und touristischen Vergnügungen sind gefühlte weitere 90 Prozent in der Winterpause. Die Inselbäckerei, das Inselmuseum, das Inselkino, die Pferdebahn: geschlossen. Was geöffnet hat, ist nur zu eingeschränkten Zeiten nutzbar: das Inselbad am Wochenende, das Nationalparkhaus am Dienstag und Samstag, das Kurgasthaus in der Woche von 9 bis 12 Uhr. Im Edeka-Markt gibt es Lücken im Regal, bei Schröders Feine Kost ist das Angebot in der Käsetheke reduziert, das Joghurtregal überschaubar: Die Fracht kommt derzeit nur einmal statt zweimal die Woche wie in der Hauptsaison.

Das Verrückte an der Sache ist nun, dass das wenige Verbliebene mehr als genügt. Weil so viel nicht geht, wird der Rest um so genauer genossen und abgewogen. Gehe ich heute den Rundweg erst über den Tranpad und dann den Hellerpad? Oder erst den Hellerpad und dann den Tranpad? Schlafe ich neun oder zehn Stunden? Oder lieber acht und nachmittags noch mal eine? Und die frischgebackenen Waffeln im Café Teetied: lieber mit heißen Kirschen und Sahne oder mit heißen Kirschen und Vanilleeis?

Nichts tun können heißt nichts tun dürfen. Und damit hatte ich die letzten Tage reichlich zu tun.

0208sieben

Heute dann: plötzlich eine Invasion am Strand. Außer mir ganze sieben Spaziergänger am Horizont. Klar, ist Wochenende, da strömen die Massen.

44 Gedanken zu „Entoptionalisierung

  1. Andreas Pott

    Ich gebe zu: hier kommt so etwas wie Neid auf. Aber interessanter Weise bietet diese „Entoptionalisierung“ dann doch auch gleich wieder ganz neue Optionen …

  2. Ewa

    Hallo, Sie haben offensichtlich sehr schnell das Spiekeroog-feeling erspürt! Meine Empfehlung, falls etwas Sonne in Sicht, beim Haus Wolfgang den schmalen Pfad gen Strand zu nutzen, dort kann man am Strand die „Dünen“ als etwas Windschutz nutzen – erlaubt, sich unbedingt ausgestreckt in den Sand legen, man ist eins mit Himmel und Erde und dann Musik per mp3-Player z.B. Satie, Rameau, Schubert – Glück pur! Wie wäre es bei Tristesse mal einen Tagesausflug nach Oldenburg vorzusehen, um, u.a. (!!!)den leiblichen Genüssen zu frönen und sich mit Frischware einzudecken? Wir haben, außer am Montag, täglich irgendwo Markt, vorzugsweise: am Donnerstag und Samstag an der Lambertikirche und Pferdemarkt (!!)am Mittwoch Biomarkt am Julius Mosen Platz, am Freitag Erzeugermarkt Lambertikirche (!!).
    Noch gute Zeit.
    E.

  3. Pingback: Woanders – diesmal mit dem Blick aufs Handy, dem Schreiben, der Nordsee und anderem | Herzdamengeschichten

  4. marion höper

    Fast wären es acht Strandläufer gewesen. Denn ich hatte jetzt für Anfang Februar auch eine Woche Spiekeroog geplant! LEIDER ist mir was dazwischen gekommen! Das bedaure ich sehr!
    Ich war auch schon einmal auf der Insel. Ich finde sie toll! Sehr gut, um mal zu entkommen, ja!
    Viel Vergnügen weiterhin!

  5. Barbara R.

    ENTspannung – ENTrinnen – ENThusiasmus – diese 3 Worte fallen mir da spontan ein! All DAS bietet Spiekeroog. Übrigens – ein bisschen was wird doch geboten. Der Veranstaltungskalender von Dezember 2013 bis Februar 2014 umfasst immerhin 11 Seiten! :-))
    Sie können ja schon ein paar Kolumnen für den Stern vorbereiten …. 🙂
    Aber …. wem sag ich das! Sie sind ja selbst DAS Beispiel schlechthin für ENTdeckungen!

  6. Gabi

    Diese Posts von Ihnen, liebe Meike, schätze ich ganz besonders. Ich fühle Ihre innere Zerrissenheit ob der aufgeräumten Insel fast körperlich mit. Bitte mehr davon!
    Einen nicht allztu turbulenten Sonntag wünscht
    Gabi

  7. Manuela

    Liebe Maike,
    das klingt ganz extrem nach Entschleunigung pur! Ich hatte erst Zweifel, warum du dir für Spiekeroog so einen trostlosen Monat ausgesucht hast, aber so langsam verstehe ich den Zeitplan. Ich kann sehr gut verstehen, dass die reduzierte Auswahl ein Stück weit eine Hilfe ist – kein 7 Meter Regal mehr im Supermarkt nur mit Joghurt und der Entscheidung, welchen um Himmels Willen ich bloß nehmen soll.
    Ich bin gespannt, was du aus dem Monat machst. Denn ich bin fast sicher, dass du auch auf der durch die Jahreszeit fast stillgelegten Insel wieder tolle Geschichte ausgraben wirst.
    Klappt das eigentlich mit dem Internet dort oben? Ich hatte auf Sylt (List) so meine Probleme..
    Ich wünsche dir eine gute Zeit. Danke, dass du uns wieder mitreisen lässt!
    Manuela

    1. PollyEsther

      Das ist so ähnlich wie seinen Kühlschrank oder seine trockenen Vorräte zu „entrümpeln“ oder zu reduzieren: Es dauert vielleicht Wochen, das auf ein vernünftiges Mass runterzuschrauben, aber danach hat man immer noch genug für 5-6 Mahlzeiten, obwohl man nur sonntags keinen Nachschub bekommt.
      Die Frage der Lebensmittelauswahl stellt sich für manche auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Hier haben sich verschiedene Familien weltweit mit ihren Lebensmitteln für 1 Woche ablichten lassen:

      http://themetapicture.com/hungry-planet-what-the-world-eats/

      1. Manuela

        @PollyEsther: sehr interessante Bilder und klasse Idee! Aufschlussreich, wie unterschiedlich der Anteil von frischen und industriell verarbeiteten Lebensmittel ist. Das Bild aus den USA erfülllt alle Klischees:-)

  8. Pingback: Entoptionalisierung | Wortistik

  9. Mareke

    Liebe Meike,

    ich habe eben heute morgen Dein Buch zu Ende gelesen. Und manchmal habe ich extra etwas gewartet mit einem Folgekapitel. Leider hab ich es erst jetzt entdeckt. Ich schaue wenig fern, deshalb habe ich es nicht vorher mitbekommen. Eigentlich bin ich Buchhändlerin, aber derzeit ohne Buchhandlung, deshalb habe ich Dein Buch auch verpasst. So was.
    Aus diesem Grund hat mir auch der englische Buchhändler sehr gefallen. Zudem bin ich aus Ostfriesland. Deshalb ist Dein Aufenthalt dort natürlich auch spannend. Ich war einmal im Februar dort und ich mochte es sehr.
    Jetzt lebe ich in Bremen, leider keine Lesungen hier von Dir, sonst wäre ich hingegangen.
    Falls Du mal hier durchkommst, steige mal aus und komm ins „Viertel“ auf einen Kaffee. Oder Ostfriesen-Tee!
    Grüße aus Bremen mit Sonne…

    Mareke

  10. Silvia

    Hallo,
    übrigens ist Juist auch autofrei. Und da die Fähre nur 1x pro Tag fährt, sind wir in 10 Min oder so rübergeflogen. Tolles Erlebnis, mit super Inselblick! Drüben angekommen dann 45min mit der Pferdekutsche in den Ort! Das war echtes Kontrastprogramm.
    Liebe Grüße

  11. Paul Uchte

    Moin,
    wie geht das denn? Heute um 06.05 „Tischgespräch“ auf WDR 5 mit Bormann. Von
    ruhigen Tagen auf St. Georg die Rede. Und jetzt schon tagelang auf Spiekeroog rumturnen.
    Ist Mist im Winter, außer für Fiete. Habe Zweifel, ob ihm das Zigeunerleben bekommt.
    Foxe haben Charakter. Das Spannendste an der Deutschland-Tour wird Konstanz
    (Lateinkenntnisse wünschenswert). Das noch: Für Tango,, Verehrte, sind Sie zwei Nummern
    zu groß. Empfehle Bossa Nova, Cha, Cha, Cha! Grüße vom Festland.

    1. PollyEsther

      @Paul Das wird eine Wiederholung gewesen sein, auf DR Kultur werden Beiträge auch mehrfach gesendet.

  12. Ulrike

    Gestern hat N3 einen kurzen Bericht über Spiekeroog gebracht, die Insel ist auf der Suche nach einem Polizisten (feste Stelle mit renoviertem Haus) . Leider hat sich noch keiner gefunden! Vielleicht liegt es an dem klapprigen Dienstfahrrad?

  13. Monika S.

    Hallo Frau Winnemuth,
    eigentlich wollte ich mich nur an Ihrem Blog erfreuen. Aber nun möchte ich doch auch ein paar Zeilen los werden. Leider bin ich erst durch Ihr tolles Buch auf Sie aufmerksam geworden. Deshalb hab ich mich sehr auf diese Deutschlandreise gefreut, damit ich mich auch am Blog erfreuen kann.
    Meinem Mann und mir ging es vor zwei Jahren ähnlich. Wir waren im März auf Spiekeroog und standen jeden Morgen nur vor der Frage: gehen wir heute links oder rechts zum Strand. Wir fanden es herrlich einfach mal ohne Plan den Tag zu erleben. Also weiterhin viele schöne und ruhige Stunden auf dieser schönen Insel.
    Auf Ihre Zeit in Potsdam bin ich schon sehr gespannt, denn das ist unser Ziel im Sommer.
    Liebe Grüße aus Hessen!

  14. Martina

    Uuups, sorry, weiß nicht wie sich die ganzen „r“ eingeschlichen haben.
    Martina

  15. Martina

    Liebe Meike,
    Neeeiiiid, Mußestrunden in so einer großartigen Umgebung, wär schon mal wieder schön.
    Eine gute Zeit für dich und Fiete!
    Martrina

      1. martina

        Stimmt, vielleicht überleg ich es mir und werd die Trina vom Meer, geographisch passt es.
        Lieben Gruß
        Martina

  16. Greta Holthues

    Was für ein Luxus! Das wünsche ich mir auch einmal. Im Ruhrgebiet geht es anders zu. Euch 2 noch eine schöne Zeit dort! LG aus Herne

  17. Thea

    Moin!
    Von Wittbülten aus kann man auch einfach weitergehen, immer der Krabbe nach. Später dann den Pfählen folgen. Ich bin da mal gefragt worden, ob das die Straße in die Stadt sei … Man kommt unweigerlich – ans Meer. Haben Sie schon Bernstein gefunden?

    Viele Grüße aus dem Rheinland

  18. Eva H.

    Das klingt wunderbar! Ein bisschen wie die Jetlag-Tage, die Du mal beschrieben hast. Man muss nichts tun. Niemand erwartet etwas von einem. Sogar noch besser. Man kann gar nichts tun. Herrlich…
    Eine schöne Zeit wünsche ich.
    Liebe Grüße aus dem Saarland!
    Eva

  19. Sibylle

    Liebe Meike,
    zum Angebot in den Läden von Spiekeroog fällt mir Dieter (Max) Moor ein und sein Buch „Was wir nicht haben brauchen Sie nicht“!
    Weiterhin eine gute Zeit,
    Sibylle

  20. Marie-Johanna Tailor

    Alle Kommentare mit „ich habe auch einmal….“ sollten sich überlegen, wen das wohl interessiert.

    1. Kathrin

      Ob Sie’s glauben, oder nicht, MICH interessieren die Kommentare zum Großteil genauso, wie Meike’s Beiträge. Das ist doch gerade das Tolle an einem interaktiven Blog, dass durch die Kommentar-Funktion auch immer wieder noch neue Gedanken, Erlebnisse und Tipps hinzukommen. Bitte weiter so kommentieren!
      Und für Sie als Tipp: man kann Meike’s Beiträge auch ohne Kommentare lesen.

  21. Oona

    Das klingt alles ziemlich gut. Und dieses Strandbild… trotz der Menschnmassen in der Ferne… einfach schön. Insel-Urlaub im Winter werde ich mir merken und verstehe nun besser, warum eine Freundin mit ihrer neuen Liebe demnächst auf eine ostfriesische Insel fährt. *lach*
    Grüße
    Oona

  22. Tina aus OWL

    Wunderbar!!! Wo hat man schon im Alltag so viel Ruhe mit phantastischer Aussicht?! Genießen sie die entspannte Zeit, die Begleiter Stress und Hektik kommen früh genug zurück.

  23. Katrin

    Liebe Meike,
    selbst in den Sommerferien, wo die Insel bekanntlich voll ist, haben wir eine ähnliche Erfahrung gemacht. Am Freitag wollten wir Geld von der Post holen. Der Postbeamte vertröstete uns auf Dienstag- unser Abreisetag- da kommt das nächste Mal Geld auf die Insel, jedenfalls zur Post. Wir konnten es zunächst gar nicht fassen. Auf jeden Fall ist das eine Erinnerung, die neben der Schönheit der kleinen Insel dauerhaft im Gedächtnis geblieben ist und von der wir manchmal noch amüsiert erzählen.
    Liebe Grüße.
    Katrin

  24. kielersprotte

    Cool…fast wie aufm Mond. Diese Weite…man hört fast diese Stille. Ich selbst komm von der Ostsee u mein 1. Mal an der Nordsee war in st. Peter-Ording, auch im Winter. ..und dieser leere breite Strand hat mich umgehauen. Genießen, genießen… so ein Geschenk gibts nicht so häufig. Viele liebe grüße auch an fiete

  25. Christine

    Liebe Meike,

    Wow – Wunderbar – dieser leere Strand und dieses „nichts“ – ich mag das und wenn ich das habe und freue ich mich immer darüber und lauf los. Die Landschaft lässt sooo viel Platz für Gedanken und Ideen – was ein Luxus.. Ich wünsche dir dass du es genießen kannst. So wie das aussieht tut Fiete das auf jeden Fall..

    Herzliche Grüße und schönen Sonntag wünscht
    Christine

  26. Nelly Fleckhaus

    Liebe Meike, hältst du Entoptimalisierung bis zum 28. Februar aus? An vielen im Sommer beliebten Touristenorten ist im Januar und Februar nichts los. Außer für Spiekeroog gilt das für auch z. B. für Arenal auf Mallorca – wo ich mal im Februar war – oder Praia da Rocha, Portugal, wo Ralph und ich im Januar 2014 eine Woche verbracht haben. Es ist schön, den Strand fast immer für sich allein zu haben. Aber ohne Mietauto wären diese Tage ganz schön eintönig geworden. Und auf Sylt, das ist ja die Insel, die du nicht so gern magst, ist nur in der Sansibar was los. Zum Erholen und zum Schreiben mag Spiekeroog gut sein…

    1. jule

      Bei „Entoptimalisierung“ fällt mir ein:
      Entoptionalisierung kann sogar Optimalisierung sein.
      😉

  27. Margot

    Genau so ist es, diese Schilderung ist wunderbar und erklärt, warum die Wintertage auf Spiekeroog so wunderschön sein können.
    Man muss sich nur darauf einlassen 😉
    Grüße vom Rhein!

Kommentare sind geschlossen.