Kehrtag

Ich bin am Aufräumen. In der Wohnung, in meiner Planung, überhaupt. Und dazu gehört auch, all das Liegengebliebene, Erlebte, Fotografierte mal wegzusortieren. All die Dinge, von denen ich mir in den letzten Wochen gesagt habe: Darüber werde ich irgendwann ausführlicher bloggen. Seien wir realistisch: Das passiert ja doch nicht. Deshalb lieber die Schnipsel knackig kurz wegerzählt als für ewig auf der Halde, einverstanden?

Die Pallien-Diät
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Die Kehrseite der hier bereits viel besungenen Palliener Idylle ist, dass es kein einziges Geschäft gibt, keinen Kiosk, keine Tankstelle, nichts. Zum nächsten Supermarkt sind es eineinhalb Kilometer, zur Tanke (für die Sonntagszeitungen) zweieinhalb. Nicht schlimm für jemanden mit Hund, im Gegenteil. Nur überlegt man sich bei jedem Einkauf, was man wirklich braucht – denn man muss es ja alles nach Hause schleppen. (Ich erinnere ungern nochmals daran: Ich bin derzeit ohne Führerschein.) Das bedeutet: Ich verkneife mir Dinge, die ich ansonsten unverzichtbar finde: Haribo Phantasia in der Anstaltspackung, Tortilla Chips, aber auch die eine oder andere Flasche Wein. Stattdessen Joghurt, Obst, Müsli. Ergebnis: angenehm locker sitzende Jeans. Sollte ich mir patentieren lassen, die Methode: Diätwillige in ein Dorf bringen und ihnen sofort den Führerschein abnehmen.

Wenn ich dann doch etwas heim ins Heim schleppe, muss es schon besonders gut sein. Zum Beispiel das Cointreau-Marzipan von der Confiserie Raab in der Karl-Marx-Straße. (Für Fiete Rinderkopfhaut von House & Hound ein paar Häuser weiter.) Oder mal eine Flasche Riesling von Markus Molitor aus meiner Lieblingsweinbar Weinsinnig.

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Das Besondere an Manuela Schewes Laden ist die begehbare Weinkarte: An der Wand findet man alle Weine, die offen im Ausschank sind. Ist eine Flasche leergetrunken, darf man sich eine neue aus dem Angebot aussuchen, vorausgesetzt, man trinkt gleich selbst das erste Glas. Dadurch ändert sich die Karte ständig. Manuela hat die Klassiker von Molitor und Heymann-Löwenstein, aber auch die Jungen Wilden wie Axel Pauly und Philipp Kettern im Angebot. Und natürlich den Trierer Hauswein vom Deutschherrenhof. Dazu gibt es richtig guten Flammkuchen und lustige Veranstaltungen wie Fass X: Ein Winzer verbirgt sich in einem großen Holzfass und muss von der versammelten Weintrinkergemeinde erraten werden. Im vergangenen Juli saß beispielsweise Günther Jauch im Fass … vor 30 verblüfften Weinliebhabern.
Weinsinnig, Palaststraße 12, 0651/979 01 56. Dienstag bis Samstag ab 11 Uhr.

Das erste Souvenir
0127valentine Das ist Valentine La Verte, mit der ich mich in der sehr charmanten Weinstube Kesselstatt zum Abendbrot verabredet hatte. (Bisschen viel die Rede vom Wein hier gerade? Hey, dies ist die Mosel.) Valentine (im wahren Leben Christine MacKusick) gehört zu den Sowohl-als-auch-Menschen, mit denen ich immer viel anfangen kann: Vater Amerikaner, Mutter Deutsche. Tagsüber Leiterin eines Übersetzerbüros, abends Upcycling-Künstlerin. Sie hat mir eines ihrer Objekte als Geschenk mitgebracht: eine alte Schublade, neu beklebt und mit gebogenen Esslöffeln als Haken. Hübsch, aber nicht ganz das Richtige für mich, deshalb habe ich mit Valentine abgesprochen, dass ich ein neues Heim für das gute Stück suche. Selbstabholer: bitte Mail an meike@zurueckauflos.com.

Beweisfoto für Meike Valentine trägt ihren Pseudonym-Nachnamen übrigens völlig verdient: Ihr Kleiderschrank besteht fast ausschließlich aus grünen Klamotten. »Es macht das Leben einfacher«, sagt sie. Ich weiß, wovon sie redet…

0127freudkissen Dies hingegen ist tatsächlich mein erstes Trierer Souvenir – einfach weil ich mit sowas hier nicht gerechnet hätte. Ein Kissenbezug aus grobem Sackleinen, liebevoll per Kreuzstich mit einem Porträt Sigmund Freuds bestickt. Das Stück ist derart absurd, dass ich nicht widerstehen konnte. Fundort: Kaufhaus Popp. Das Mini-Kaufhaus in der Neustraße ist letztes Jahr von Local Hero Ingo Popp eröffnet worden, der zuvor als Konzertveranstalter und Gastronom die Stadt aufgemischt hat. Im Sortiment: Postkarten, Teppiche, Kosmetik, Schuhe, Porzellanfiguren, Marzipan, Mülleimer, Krams – alles, was dem Hausherrn gefällt.
Kaufhaus Popp, Neustraße 22, Montag 14 bis 19 Uhr, Dienstag bis Samstag: 11 bis 19 Uhr.

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Im grünen Bereich
Wenn ich am Ende dieses Jahres an Trier zurückdenken werde, wird mir, glaube ich, als erstes der Wald einfallen. Genauer: die für mich als Großstädterin immer noch verstörende und immer noch beglückende Nähe zum Wald. Keine zehn Fußminuten entfernt. Als Norddeutsche hat man es eigentlich nicht so mit Wald. Wir haben Meer und dazwischen Felder, hin und wieder steht mal ein Wäldchen in der Gegend, das aber meist schnell durchschritten ist. Hier aber kann ich stundenlang, wirklich stundenlang mutterseelenallein durch die Bäume spazieren und dabei immer wieder neue Entdeckungen machen.

0127waldmodelOft auch überraschende wie diese hier: Ein Mädchen stand im Walde so für sich hin. Na schön, nicht ganz. Ein Fotograf war noch dabei und die junge Modestudentin, deren Semesterarbeit hier abgelichtet wurde. (Madame La Verte hätte es sicher gefallen.) Und weil Trier eine kleine Welt ist, traf ich den Fotografen ein paar Tage später wieder: als Theaterfotografen bei einer Generalprobe im Theater Trier.

0127mambo Und zum Schluss noch das hier: mein Lieblingshaus in Trier, ebenfalls in der Karl-Marx-Straße. Es könnte auch in New Orleans stehen oder in Paris – wie kommt es nur hierher? Das Bistro ist geschlossen, das Haus steht leer; ich muss unbedingt noch herausfinden, was es damit auf sich hat.

Gerade mal geschaut, was sich hier zusammengefegt hat, und stelle fest: Überhaupt alles so schön grün hier, oder? Sogar die Blümchen auf dem Sigmund-Kissen passen. Sollte ich öfter mal machen, das Kleine zum großen Ganzen zu versammeln.

0127eifelbank P.S. Der 313 Kilometer lange Eifelsteig endet in Trier, die letzten Kilometer führen oberhalb der Mosel an der Bruchkante des Buntsandsteingebirges entlang. Und dort stehen diese Bänke. Auf eine besonders unangenehm hervorstehende Latte hat jemand liebevoll warnend geschrieben: »Dat is für dein Hohlkreuz.« Sag noch einer was gegen die Trierer.

28 Gedanken zu „Kehrtag

  1. Elisabeth Mardorf

    Liebe Meike, ich erinnere mich dunkel, dass du auf Deiner Weltreise ein Kaffeetassen-Kissen gestickt hast. Jetzt also ein gekaufter Sigmund. Falls du mal ein eigenes Motiv versticken willst – kennst du diese (oder ähnliche) Software, mit der du aus jedem Foto eine Kreuzstich-Stickvorlage basteln kannst? So Fiete mit Stock? Da wird doch jedes Ferienwohnungs-Sofa gleich trautes Heim, möglichst mit Knick im Kissen … http://www.kreuzstich-software.de/
    Danke, dass Du uns an Höhen und Tiefen teilhaben lässt.

  2. Peter

    Vielleicht sind es Sätze, wie diese:

    „Die Kehrseite der hier bereits viel besungenen Palliener Idylle ist, dass es kein einziges Geschäft gibt, keinen Kiosk, keine Tankstelle, nichts. Zum nächsten Supermarkt sind es eineinhalb Kilometer, zur Tanke (für die Sonntagszeitungen) zweieinhalb“

    , die mich zusammen zucken lassen.

    Ist aber mit Hund wohl noch erträglich; der muß ja sowieso mal raus, oder wie?
    Kann mir zwar vorstellen, dass Einkaufen mit Hund eher komplizierter wird aber dafür hat man dann ja wenigstens zwei Fliegen…
    Diese verzerrte Wahrnehmung hat mich auch schon im Buch gestört.

    Die Mehrheit der Weltbevölkerung würde solche Entfernungen wohl mit „gleich um die Ecke“ beschreiben und begrüßen, nicht direkt neben dem nächsten Supermarkt / Tanke zu wohnen.

    Entschädigt wird der Stadtmensch dann durch den Wald drumherum. Oder das, was er dafür hält.
    Von den ~30% Anteil Wald an der Fläche unseres „schönen“ Landes werden >90% bewirtschaftet und sind somit Monokulturen – Baumfelder.
    Mit eigentlichem, naturbelassenem Wald, haben diese genau eines gemein: Bäume.
    „Schützen durch Nutzen“ sagt der Waldbauern schulterzuckend. Da fragt man sich: Wie konnte sich Wald überhaupt ohne Mensch entwickeln?
    Gut, dass wir das erkannt haben und es Menschen gibt, die uns beständig Wald schenken; mit dem Maßband gepflanzt. Kiefer an Kiefer, Fichte an Fichte und alles fertig, um mit dem Holzvollernter in Sekunden entnommen zu werden.

    Unseren Kindern zeigen wir dann echten Wald eben im Urlaub oder fahren Stunden mit dem Auto dorthin, wo es ihn noch gibt.

  3. Andrea

    Hab ich etwas verpasst? Was ist passiert zwischen „kommod mit dem Auto durch die Republik“ und „Ich bin derzeit ohne Führerschein“? Gibt es einen Harry (der schon mal den Wagen vorfährt) oder ist doch der Wein schuld (Hey, dies ist schließlich die Mosel)?

    1. Meike Winnemuth Beitragsautor

      Nicht der Wein, sondern eine Geschwindigkeitsübertretung aus dem letzten Jahr ist der Grund. Nicht schlimm, Spiekeroog ist eh eine autofreie Insel.

  4. Thomas

    Liebe Meike,

    schade, daß Sie für die von uns angeregte Aufgabe keine Zeit gefunden haben, aber die Gründe dafür haben Sie ja ausreichend dargestellt. Ich bin mir sicher, daß Sie trotz dieses kleinen Dämpfers in TR eine schöne Zeit hatten. Für die weitere Reise wünschen wir Ihnen alles Gute und noch viele interessante Begegnungen und Erfahrungen.
    Noch eines: das von Ihnen erwähnte Weingut heisst Heymann-Loewenstein. Für die Korrektur ist Ihnen die Partnerin / Frau von Hr. Löwenstein sicherlich dankbar ;-).

    Alles Gute,

    Thomas & Christine

  5. Margit Feser

    Hi liebe Meike, zum Bistro Mambo hast Du meine Neugierde geweckt und ich hab für Dich ein bissle geforscht, dies kam heraus: ehemalige Deutsch-Afrikanische Kneipe, siehe http://www.wer-kennt-wen.de/gruppen/trier/le-mambo-afro-deutsche-kneipe-hj2ht5l5/ , über Zeitpunkt und Grund der Schliessung war nichts zu finden, da würde ich schlicht die Nachbarn mal fragen 😉 Schön fand ich noch dies hier, Bilder etc. rund-ums-Mambo ! http://www.strassenkatalog.de/osm/le_mambo,570939237n.html.
    LG Margit (see ju in April;)

    1. Margit Feser

      ach, jetzt sehe ich, dass der Artikel zu Eisernen Haus ja schon alles beschreibt, klasse !!:)

  6. martina

    Liebe Meike,
    das kann doch gar nicht sein, dass die erste Stadt schon fast wieder Vergangenheit ist. Haltet die Zeit an, Leute!! Danke für die „Schnipsel“ der letzten Erlebnisse, die so vergnüglich zu lesen waren. Ob ich doch noch mal eine kleine Weintour an die Mosel mache, maybe. Noch schöne Tage und bis bald. Liebe Grüße Martina

  7. Uschi

    Wie schön! Als ich vor 2 Jahren nach Trier gezogen bin, hab ich mir meine neue Heimat ähnlich erschlossen.
    Schade, dass der Monat so schnell vergeht.

  8. Uta

    Schönes Kaleidoskop.
    Und die ganze Zeit frage ich mich, ob Sie in in meiner Wohnstadt, mit der ich eine ganz zufriedene Vernunftehe führe, nicht mehr und nicht weniger, auch so viele wunderbare Kleinigkeiten entdecken würde, die ich vielleicht nur jeden Tag übersehe? Oder nicht mehr wahrnehme?

    1. Londongirl

      Uta, ich glaube diese „Kleinigkeiten“ gibt es überall. Wir gucken nur nicht mehr hin. Ich reise beruflich sehr viel (und habe vor einigen Monaten das Land gewechselt) und habe festgestellt, dass wirklich jede Stadt etwas schönes hat.

  9. Iris

    Mir gefallen die Schnipsel gut … können Sie gerne öfter machen, wenn es für Sie weniger Aufwand bedeutet und genügend Story fürs nächste Buch übrig bleibt … das ist ja auch ein Balanceakt. Der ein oder andere Kommentator fügt dann per Link auch noch ein Schnipsel dazu und zack … schon weiss der blaue Bus Bescheid übers grüne Eisenhaus. Herrlich das 🙂

  10. Maren Latter

    Toller Abschlussbericht – ich freu mich schon auf mehr aus der neuen Stadt :-))

  11. Hildegard

    Pallien-Diät, begehbare Weinkarten, Schubladen mit Löffelgriffen, Freud als Stickmuster, Hohlkreuzhilfen auf Parkbänken – jetzt weiß ich wieder, warum ich Ihre Schreibe liebe. Randomness – aus wahllos zusammengewürfelten Themen ein kleines Kunstwerk machen…

    1. marga

      Genau! Eine wunderbare Gabe: zu sehen, zu staunen, zu schmunzeln, in den genau richtigen Worten zu Papier bringen und mich (u.a) unterhalten wie schon sehr lange nicht mehr.

  12. Constanze

    Liebe Meike,
    na…. jetzt läuft es aber mit dem Schreiben.
    Schön!
    Bin begeistert! Stelle nämlich gerade mal wieder fest, in welcher schönen Stadt ich wohne!
    VIELEN DANK!
    Wünsche dir für die restlichen Tage hier in Trier noch viele schöne bleibende Erlebnisse!

    Herzliche Grüße
    Constanze

  13. Martina R.

    Liebe Meike Winnemuth,
    Ihre Kommentare, Erzählungen , Tipps sind so inspirierend, dass ich einfach DANKE sage.
    Ja, ich schaue auch jeden Tag, ob es was Neues gibt, aber einfach , weil es so klasse zu lesen ist.
    Es wäre zu schade, wenn das in zu viel Stress ausartet für und zur Belastung wird.
    Herzlichen Dank nochmal für diese-Ihre Bereicherung.

  14. kielersprotte

    Wundervoll, was alles beim Aufräumen auftaucht und erst am Ende entdeckt man, wie sich alles zusammenfügt…. und dann hat das Ganze auch noch einen roten…. pardon….einen grünen Faden !!

  15. Hella

    Liebe Meike,

    danke für den tollen Bericht und die außergewöhnlichen Fotos!

    Viel Spaß in der neuen Stadt,

    liebe Grüße
    Hella

  16. Nelly Fleckhaus

    Liebe Meike, dein Trier-Fazit klingt so, als sei die Stadt einen Umweg auf einer Reise wert. Für den Fall, dass es einen gut funktionierenden Flohmarkt gibt – wann? – werden wir auch hier unser Bücherzelt aufschlagen und richtiges Literatur an die Trierer verkaufen…

  17. Rebecca

    Danke für die tollen Tipps und Eindrücke. Noch ein Tipp – falls noch nicht bekannt: Unbedingt mal den Roten Weinberg-Pfirsich Likör probieren. Müsste es in Trier an fast jeder Ecke geben oder im gut sortierten Weinhandel. Am besten in einem Riesling Sekt. Seufz & Prost! 🙂

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