Archiv der Kategorie: Trier

Speziell

0121bus Die Trierer seien… speziell, wurde mir im Vorfeld immer wieder gesagt, und wenn ich nachfragte, hieß es: Wirst schon sehen. Ich werde was sehen? Na, speziell eben. Unzugänglich, abweisend. Gelegentlich mürrisch. Aha.

Wenn der Trierer auf diese Weise speziell sind, habe ich noch keinen getroffen. Gibt es den überhaupt, ist er nicht am Ende nur eine Sagengestalt? Oder wird es mir passieren, dass ich nur mit speziellen Leuten zu tun bekomme? Der Spiekerooger sei ja auch speziell. Und der Görlitzer erst!

Zumindest der Verkehrsverbund Region Trier gibt sich Mühe mit der Aufrechterhaltung des Mythos. Nicht durch die Busfahrer, oh nein, die sind durch die Bank nett. Sondern durch die Sitze. Zu breit für einen, zu schmal für zwei. Wer sitzt, mag nicht, dass sich einer dazuquetscht. Wer steht, schaut muffig auf den leeren halben Sitz. So züchtet man Trierer.

Ein Wochenende in Trier (und drumherum)

»Langweilen Sie sich hier nicht?« fragte mich eine ältere Dame neulich auf der Straße. Langeweile? Keine Chance.

0118kunsthandelSamstagmittag. Kunsthandel, Neustraße 24. Bei Manon Letzelter (links) war ich gestern Abend schon zum Essen eingeladen. Wir hatten eine Vorgeschichte, sozusagen, ohne uns je vorher gesehen zu haben: Für Architektur & Wohnen betreibe ich seit mehr als vier Jahren ein Ratespiel namens »Wer wohnt denn da?«. Die Redaktion schickt mir Fotos von Wohnungen oder Häuser, über die ich nichts weiß, ich versuche anhand der Bilder ein Psychogramm der Bewohner. Der Spaß besteht darin, dass ich in 90 Prozent der Fälle daneben liege. Von der Zahnärztin Manon Letzelter hätte ich gedacht, sie sei eine Grafikerin. Ihre extrem gutgelaunte Wohnung habe ich nun in 3D kennengelernt – und an diesem Morgen auch den Mann, von dem sie viele Möbel gekauft hat, Martin Wieland (rechts). In seiner Design-Galerie Kunsthandel trifft man sich samstags, sitzt mehr oder weniger im Schaufenster auf Sofas von Andrea Lucatello und Grete Jalk, trinkt Kaffee aus Tassen von Gio Ponti und schwätzt. Es ist, man kann es nicht anders sagen, kein schlechter Start in ein Wochenende. Der Herr in der Mitte ist übrigens Dieter Molitor, Weinhändler und Bruder von Markus Molitor, einem der bekanntesten Moselwinzer.
Anschließend: auf eine Suppe ins benachbarte Yong.

0118lottiSamstagnachmittag. Auf eine Nussecke bei Lotti Köhler. Lotti ist die Mutter von Horst alias Guildo Horn, von dem hier ja schon die Rede war. Und die Nussecke ist… muss man das noch erklären? Vielleicht für die Jüngeren unter uns: Ende der Neunziger wurde die Nussecke – quasi die Oblate des Guildo-Kults – zum meistverkauften Backwerk Deutschlands. Im Internet finden sich bis heute unzählige Rezepte für Nussecken nach dem Originalrezept von des Meisters Mutter, die allerdings wenig mit Lottis wirklichen Nussecken zu tun haben. Wie ich jetzt weiß.

Lotti ist ziemlich wundervoll. Lebt schon ewig in derselben Straße (erst in Nummer 66, dann 76b, dann 77a), steht morgens um fünf auf, holt die Zeitungen für das ganze Haus – und backt bis heute Nussecken, zu Weihnachten erst wieder acht Bleche für die Nachbarschaft, die Apotheke, ihre Ärzte. Wie das damals losging mit den Nussecken, das kriegt sie auch nicht mehr so genau zusammen. Anfangs hatte der Horst immer Plätzchen verteilt bei seinen Konzerten, irgendwann wurden es die bröselresistenteren Nussecken, die sie quasi am Fließband buk. »Wenn der Horst in der Nähe aufgetreten ist, hat er immer ein Taxi geschickt, um die Nussecken abzuholen. Aber der Junge hat die Dosen nie zurückgebracht, da habe ich sie irgendwann in Plastikeimern geschickt.«

Die Nussecken sind natürlich bis heute fantastisch: buttriger Mürbeteig, darauf die Nussmasse, kein Schokoguss (»Das hat damals beim Verteilen im Konzert immer so geschmiert«). Und zwei Stunden entspannte Kaffeestunde bei Lotti.

_MOP4579Samstagabend. Premiere der modernen Oper The Fly im Theater Trier. In dieser großen Kleinstadt gibt es erstaunlicherweise ein sogenanntes Dreispartentheater mit Schauspiel, Oper und Tanz. Pro Jahr 13 Premieren, heute eine Oper nach dem Horrorfilm The Fly von David Cronenberg, Musik von Hollywoodkomponist Howard Shore (Das Schweigen der Lämmer, Mrs. Doubtfire, Sieben, Gangs of New York, Oscar für den Soundtrack von Der Herr der Ringe). Ich war am Donnerstag schon in der Generalprobe, in der die entscheidende Szene angenehm schiefgegangen ist – gutes Zeichen also für die Premiere. Tolle Inszenierung durch den 30jährigen Opern-Shootingstar Sebastian Welker, tolle Mezzosopranistin Kristina Stanek in der Hauptrolle. Musik: ging so. Das größte Vergnügen dabei: meiner Kurzfristbegleitung Tina (ich hatte kurz vor Vorhang über Facebook nach einem Interessenten für die zweite Karte gesucht) ihre erste Oper ermöglicht zu haben. Und dann gleich so eine, die Arme.

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Sonntagmorgen. Frühstück im spektakulär schönen Café K mit meiner Vermieterin Sandra. Anschließend vollgefressener Spaziergang durch Bernkastel und um Schloss Lieser herum, das im Herbst als Luxushotel eröffnet werden soll. Sandra und ich latschen blondinenhaft auf die Baustelle und treffen dabei den sehr entspannten Besitzer Piet Killars, der uns freundlich wieder hinauskomplimentiert.

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Sonntagnachmittag. Über die Panoramastraße Minheim. Ein Glas Rieslingsekt bei Schanz in Piesport. Afternoon Tea im Richtershof Mülheim.

Das war mein Wochenende. Und Ihres so?

Neulich, am Nachmittag

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Kaum eine Frage wurde mir in den letzten zwei Jahren so oft gestellt wie die nach Günther Jauch. Wie er so sei (»Nett. Genauso wie man ihn aus dem Fernsehen kennt«), ob er von meiner Reise wisse (»Keine Ahnung. Könnte ich mir schon vorstellen«), ob er mein Buch kenne (»Ich denke, er hat Besseres zu tun«) und so weiter und so weiter. Der Mann scheint immer noch ein Faszinosum zu sein, auch wenn er seit 30 Jahren Fernsehen macht und seit mehr als 14 Jahren »Wer wird Millionär«. Während der Sendung damals habe ich wenig von ihm mitbekommen. Am Aufzeichnungstag, dem Dienstag, werden drei Sendungen hintereinander weg produziert, es ist eine hochprofessionelle Fernsehmaschine, die da läuft, und sie funktioniert wie’s Brezelbacken. Zwischen den Aufzeichnungen verschwindet Jauch, um sich einen neuen Anzug anzuziehen, denn in der Fernsehwirklichkeit ist es ja ein anderer Tag, und weiter geht es. Ich habe mit ihm kaum zehn Worte gewechselt, als wir in der Kulisse auf den Beginn der zweiten Sendung warteten, in der ich weiterspielte, und an diese zehn Worte kann ich mich nicht mehr erinnern. Seitdem habe ich ihn nie wieder gesehen.

Schnitt.

2009 hatte Der Feinschmecker die leichtfertige Idee, mich, eine absolute Wein-Nichtkennerin, zur legendären Weinversteigerung des Großen Rings nach Trier zu schicken. Da werden jährlich im Herbst die größten unter den großen Moselweinen versteigert, die Ersten Gewächse und die Goldkapseln, das Beste vom Besten. Es ist eine sogenannte nasse Versteigerung, während der Auktion werden also die Weine, um die es geht, zum Verkosten ausgeschenkt. Klar, dass ich zugesagt habe: Wenn ich schon mal die Chance habe, mich am helllichten Tag mit 500 Euro teuren Trockenbeerenauslesen zu betrinken, sage ich nicht nein. (Wer die zunehmend besoffene Reportage nachlesen will: Feinschmecker_Weinauktion)

Als nun also Bernd Weber, ein Weinhändler und –kommissionär, der mich damals unter seine Fittiche genommen hatte, von meinem Trier-Besuch Wind bekam, schickte er eine Mail und schlug vor, ein paar Moselgüter zu besichtigen, unter anderem das altehrwürdige Gut von Othegraven. Ach ja, dachte ich, warum nicht, dann kriegst du zumindest mal das Weingut vom Jauch zu sehen.

Günther und Thea Jauch haben das Gut an der Saar 2010 gekauft und führen es damit in siebter Generation: Günther Jauchs Großmutter war eine geborene von Othegraven, die vorletzte Besitzerin Maria von Othegraven seine Großtante. Ich hatte neulich schon ein Fläschchen »Max« getrunken, den Einsteiger-Riesling des Guts: phantastisch gut für den Preis, ’nen Zehner – pfeffrig, frisch, mit mächtig Wumm. (Wie gesagt: Nicht-Kennerin.) Um so gespannter war ich auf das Gut.

Wir fuhren also lustig aus der Stadt heraus. Rechts die größte Sektkellerei der Welt, sagte Weber, und da JT International, der drittgrößte Zigarettenproduzent der Welt. Ich guckte aus dem Fenster und freute mich auf den Wein. Halbe Stunde Fahrt, dann waren wir da: ein schönes Gutshaus mit noch schönerem Park, genauso hatte ich mir das vorgestellt.

Was ich mir nicht vorgestellt hatte: dass Günther Jauch aus dem Haus kommt und sagt, »Guten Tag, herzlich willkommen.«

Weber lachte sich kaputt über mein Gesicht. Die Überraschung hatte er fein säuberlich mit dem Gutsverwalter Andreas Barth eingefädelt, und ich hatte keine Ahnung. Nicht die geringste. Ich war sprachlos, völlig überfordert. Kommen Sie rein, hier können Sie ablegen, bisschen kalt ist es, wir müssen gerade alle Öfen heizen, sagte Jauch, und ich nickte nur stumm. Wirklich? Einfach mal so zu Haus bei Jauchs? Nicht zu fassen. Hätte ich doch wenigstens meine Schuhe geputzt. Und wie der Hund riecht! Und…

Wir standen ein bisschen auf der Terrasse herum und guckten auf den Rasen (»Verdammt! Da hat es doch ein Maulwurf durchs Netz geschafft!«), die Männer redeten vom Wein, von dem Investment in das Gut. »Da stecken Sie die ersten Jahre nur rein und müssen außerdem immer wieder aufs Neue hoffen, dass die Natur Sie nicht im Stich lässt«, sagt Jauch, wirkt aber nicht so, als ob ihn das sehr bekümmert.

Dass er dieses Gut gekauft hat, ist vielleicht eines der wenigen unvernünftigen Dinge, die der Mann je in seinem Leben getan hat. Aber um Vernunft geht es hier nicht: An der Wand hängt ein Ölgemälde von Katharina Grach, Günther Jauchs Urururgroßmutter. Deren Vater hatte in seiner Funktion als zweiter Bürgermeister von Trier die Geburtsurkunde von Karl Marx unterzeichnet. Jauch erzählt von Franz Weißebach, einem weiteren Vorbesitzer des Guts. Der hatte die Stadt Trier testamentarisch zur Erbin gemacht, allerdings mit der Bedingung, dass vom Verkaufserlös ein Krematorium auf dem Friedhof eingerichtet werden solle – undenkbar im streng katholischen Trier. Erst wenn die Stadtverordnetenversammlung fünf Jahre lang den Bau ablehne, sei das Geld frei für die Anlage des ersehnten Palastgartens. Also mussten die Trierer fünf Jahre hintereinander immer wieder über das Krematorium abstimmen, bis endlich der Garten gebaut werden konnte. In dessen Mauer ist heute eine Gedenktafel für Weißebach eingemauert – und angeblich auch eine Flasche Riesling des legendären Jahrgangs 1921. »Können Sie das nicht bitte für mich herausfinden?« fragt Jauch. Mein Hund furzt sanft unter dem Tisch. Ich möchte am liebsten unter selbigen sinken. Jauch öffnet nonchalant die Terrassentür.

Wir reden über das Reisen. Über die Weltreise. (Weber fragt: »Könnten Sie sich so etwas auch mal vorstellen?« Jauch schüttelt den Kopf.) Über die Deutschlandreise. Und über anderes, aber das bleibt unter uns, so haben wir das verabredet.

Zwei Stunden später, ich bin immer noch nicht ganz wieder bei mir, brechen wir auf. Grandioser Nachmittag, gelungene Überraschung, unvergesslicher Tag. Auf der Rückfahrt fallen mir all die Fragen ein, die ich hätte stellen wollen. Ob er von anderen Gewinnern wisse und was das Geld mit ihnen angestellt hat. Ob ihm klar sei, wie er das Leben von vielen verändert hat – meines gewiss. Ob er… Ach, beim nächsten Mal.

Stillleben

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Am Haus schräg gegenüber, am schönen Martinerhof, an dem ich jeden Tag vorbeikomme, hängt ein Schild: »Atelier Viktoria und Slawa Prischedko. Termine nach telefonischer Vereinbarung«. Atelier für was, Mode? Kunst? Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden. Am Telefon meldet sich Viktoria Prischedko und lädt mich freundlich in ihr anderes Atelier ein, in der Nähe der Kaiserthermen. Ein schönes Altbauhaus, im Hochparterre zwei zusammenhängende Räume voller Staffeleien: oh, eine Kunstschule!

Viktoria und Slawa sind ein ukrainisches Künstlerpaar aus Kiew, sie leben seit 25 Jahren in Deutschland, und natürlich kommt das Gespräch bei Tee und russischem Kuchen schnell auf das Thema Heimat. Die sei Veranlagungssache, sagt Viktoria, sie selbst habe sich noch nie irgendwo zuhause gefühlt, auch damals nicht in der Ukraine. Ihr Mann Slawa finde an jedem Ort seine Heimat, »und ich fühle mich überall, als ob ich auf einem Bahnhof stünde und auf einen Zug irgendwohin warte«. Vielleicht, sagt sie, male sie deshalb Aquarelle (wunderschöne Aquarelle voll Licht und Farbe, und wenn sie Straßenszenen malt, meint man genau die Lufttemperatur zu spüren): »weil alles darin fließt«, es keine Fixpunkte gibt.

Viele ihrer Bilder sind auf Reisen, derzeit hat sie Ausstellungen in Dänemark, Holland, Belgien und Frankreich. Die Kunstschule, geleitet von Slawa, ist ebenfalls erfolgreich: »Einige der Schüler kommen schon seit 20 Jahren.« Ihre Tochter Alexandra, genannt Sascha, kommt hinzu, die das Talent ihrer Eltern geerbt und für ihre Arbeit schon Förderpreise bekommen hat. Wir essen Kuchen, reden über das Reisen und die Kunst und gucken dem Hund zu, der zwischen den Staffeleien eine getrocknete Zitrone für den Stillleben-Unterricht jagt. »Lassen Sie ihn nur«, sagt Slawa, »ich habe noch welche. Es gibt immer wieder neue Zitronen.«

Übersichtlich

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»Und wie ist es da so?« fragt eine Freundin am Telefon. Tja, wie ist es hier so? Schön. Entspannt. Übersichtlich. Auf den ersten Blick ein kleines Päckchen, aus dem aber, wenn man es öffnet, erstaunlich viel herauszuholen ist. Noch sind es nur Impressionen, aber bevor ich die vergesse…

– Jeder kennt… nein, nicht jeden, aber zumindest jemanden, der einen anderen kennt, der… Ich saß heute beim Tee bei einer Keramikerin, Frauke Güntzel, deren Vater der Kunstlehrer von Guildo Horn war. Und die wiederum Schlagzeugunterricht in einer Probenband bei Oliver Rohles genommen hat, zu dessen Gedenken am Samstag ein Konzert stattfand, bei dem ich zufällig war, weil ich mit Tina Wilhelmus verabredet war, die wiederum Manuela Schewe vom Weinsinnig kennt, wo wir abends… Und so weiter. Frauke war außerdem in derselben Klasse wie Beate Boost, die Schwester von Rüdiger, dem Freund von Guildo. Und so weiter. Es führt jetzt zu weit, aber nach einer Woche deutet sich an, was ich vorher schon vermutet hatte: Das Netzwerk ist feinmaschiger in so einer Stadt, die Verknüpfungen vielfältiger. Und das kann man je nach Veranlagung als Stützstrumpf oder als Korsett empfinden.

– Der Trierer mag es übersichtlich. Straßen in der Innenstadt heißen Fleischstraße oder Brotstraße oder Hosenstraße oder Nagelstraße. Simpel. Knackig. Der Hauptmarkt heißt Hauptmarkt. Es gibt ein Restaurant nur für Käse und eines nur für Kartoffeln. Um es noch übersichtlicher zu machen, werden Dinge gelegentlich auch zusammengerührt. Die beliebte Beilage Teerdisch ist ein Kartoffelpüree-Sauerkraut-Gemisch, farblich und von der Konsistenz her… nein, ich wollte ja nur beschreiben, nicht urteilen. Im Krokodil wird mittwochs Barjazz gespielt: »Einfache Melodien, akustisch, modern mit warmem Timbre«. Ebenfalls übersichtlich.

– Samstags wird es unübersichtlich. Am Hauptmarkt ein Menschenauflauf aus aller Herren Länder, in der Mehrzahl Luxemburger, aber auch Belgier und Franzosen, die zum Einkaufen kommen. Die Trierer wiederum sind derweil auf dem Weg nach Luxemburg, um dort zu tanken. Trierer fahren zum Arbeiten nach Luxemburg (Eingangs-Einkommenssteuersatz 8 Prozent), Luxemburger fahren zum Wohnen nach Trier (was die Immobilienpreise in schwindelnde Höhen getrieben hat). Der Shoppingtourismus hat wiederum dazu geführt, dass es eine erstaunliche Menge an Geschäften gibt, die man in einer so kleinen Stadt niemals vermuten würde. Beispiel: Edith Lücke, eine der größten privat geführten Parfümerien Deutschlands mit einem Angebot, wie man es selbst in Großstadt-Beautytempeln selten findet: Creed, Annick Goutal, Jo Malone… (‚tschuldigung, da wurde kurz die Lifestyle-Else in mir reanimiert).

– Übersichtlich wiederum der Smalltalk der Trierer:
»Unn?« (Wie geht es dir?)
»Jao.« (Danke, alles bestens.)

– Und mein vorläufiges Lieblingswort im Trierischen: Stubbi. Eine 0,33 l-Flasche Bier.

Dummes Geschwätz

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Ein Nachbar sprach mich heute morgen auf der Straße an. »Ich habe gelesen, was Sie im Volksfreund gesagt haben. Dass das hier eine Idylle sei. Finden Sie das wirklich? Gucken Sie sich doch mal die Straße an und die Bahnschienen! Dieser Verkehrslärm!« Ich versuchte noch zu erklären, dass ich im Gegensatz zu ihm das Glück habe, nicht zur Straße hin zu wohnen und selbst wenn, dass die Straße im Vergleich mit einer Großstadtstraße in Hamburg immer noch ruhig sei, aber das machte es nur schlimmer. »Eine Großstadt mit Trier vergleichen, das ist doch wohl, wie Eintracht Trier mit Bayern München zu vergleichen!« Erbost schob er ab, im Gehen raunzte er noch: »Dummes Geschwätz!«

Kann sein, dass er recht hat. Kann sein, dass alles, was man als Außenstehende über einen fremden Ort denkt und sagt – zumal wenn man ihn nur einen Monat lang erlebt –, gar nichts anderes als dummes Geschwätz sein kann. Die Sichtweise ändert sich, je länger man an einem Ort lebt, je genauer man seine Vor- und Nachteile kennt. Sie verklärt sich, sie verunklärt sich aber auch. Dass der Mann an der Straße nach Jahrzehnten keinen Blick mehr für die Schönheit seines Ortes hat, für die Direktlage an der Mosel, für die Nähe zum Wald, verstehe ich sogar. Ein bisschen. Interessant finde ich aber doch die Vehemenz, mit der so viele auf ihrer eigenen Wahrheit beharren und sich die der anderen nicht mal anhören mögen. Im August zum Beispiel erschien eine Reisereportage über die Mosel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die bis heute Wogen schlägt, ich wurde bislang fünfmal darauf angesprochen (»Hast du das schon gelesen…?«).

Jetzt habe ich es endlich gelesen – und fand das Stück zwar böse, aber längst nicht so ehrabschneidend, wie es in der Region empfunden wurde, denn die Schönheiten des Moseltals hat der Autor immer wieder besungen.

Eine kunstvollere Kulturlandschaft, eine gelungenere Kollaboration von Mensch und Natur gibt es kein zweites Mal in Deutschland. Wie ein Lindwurm mäandert die Mosel durch ihr tiefes Tal, mehr gedankenverloren schlendernd als zielstrebig fließend, ein Fluss ohne Eile und Hektik, dessen Gelassenheit sich sofort auf jeden Besucher überträgt. Doch einzigartig machen die Mosel erst ihre Weinberge, die sich an den Steilufern festkrallen wie Schwalbennester und mitunter so schwindelerregend vertikal sind, dass die Winzer zu Bergsteigern werden. Es ist ein grandioses Zusammenspiel aus den Rundungen des Flusses, den Schwingungen der Steilufer und der strengen, geometrischen Parallelität der Reben, die wie ein filigran gestricheltes Patchwork die Hänge hinaufklettern. Es ist dieser ständig wechselnde Rhythmus aus Kurve und Gerade, dieser wundersam aufgelöste Widerspruch aus Urtümlichkeit und Kultiviertheit, der die Mosel zu einem Gesamtkunstwerk aus Wasser und Wein werden lässt. Ein hübscher Fluss wäre sie ohne ihre Reben. Eine überwältigende Schönheit ist sie dank ihnen.

Es ist so eng und hermetisch, so sehr in sich selbst ruhend und sich selbst genügend, dass man hier leicht der Versuchung erliegt, im eigenen Saft zu schmoren – und gleichzeitig ist es so schön, dass man gar nichts dagegen hat.

Trotzdem: Gegen die Denunziation von Cochem als Mosel-Ballermann schrieb sogar der Landrat einen Protestbrief, der Autor (»Ich stehe auf der schwarzen Liste des kubanischen Außenministeriums, weil ich unfreundlich über Fidel geschrieben habe und die Taiwanesen mögen mich auch nicht sehr. Aber so etwas wie an der Mosel ist mir noch nie passiert«) musste sich auf einer Podiumsdiskussion rechtfertigen und auch heute noch, knapp fünf Monate nach Erscheinen, ist das Stück Gesprächsstoff.

Für mich folgt daraus, in diesem Jahr bei Beobachtungen zu bleiben und die Urteile stecken zu lassen. Nicht aus Furcht vor einer ähnlichen Welle, sondern im Wissen, dass ein Monat niemals ausreicht, vermutlich nicht mal ein Jahr, um einen Eindruck zu bekommen.

Und doch, und doch: Dies ist der Anblick, wenn ich aus meinem Haus trete. Dazu muss man sich noch das Murmeln eines Baches denken und die Rotschieferwände, die sich rechts erheben. Keine Idylle? Okay, dann eben keine Idylle.

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Guildo hat mich lieb

Das Handy klingelt. Nummer unterdrückt. »Tach. Hochst Köhler«, meldet sich eine Stimme.

Näh! Gibbet nit! Gibbet doch. Horst Köhler alias Guildo Horn (genau, der Guildo Horn) hatte neulich schon mal hier einen Kommentar hinterlassen, in dem er mir seine Mutter und ihre Nussecken (»Mutti freut sich!«) sowie seinen Freund Rüdiger (»ein extrem angenehmer Zeitgenosse«) ans Herz legte. Seine Frau hatte mein Buch gelesen und ihn auf mein Deutschland-Ding aufmerksam gemacht, vor allem auf Trier. Jetzt ruft er an, einfach so, und wir plaudern. Über Trier, seine Heimatstadt, die er verlassen hat, weil man hier so wahnsinnig schwer wegkommt, wie er sagt, ungünstig für einen fahrenden Gesellen wie ihn. Er ist am Fußballstadion aufgewachsen, bei der Rosi hat er als Kind seine Brausetabletten gekauft, bei ihrem Bruder sein Fahrrad. Er schwärmt vom Konzept Trier. »Nicht zu groß, nicht zu klein, eine Enklave, ein kleines gallisches Dorf. Auf den ersten Blick verschlossen, aber nicht, wenn man sich auskennt.« Ideal, um dort aufzuwachsen. »Ich bin mit acht, neun schon allein in die Innenstadt gegangen, alles war nah und übersichtlich.«

Er gibt mir noch ein paar Ratschläge: die Genovevahöhle, das Busental, seinen besten Freund Rolf soll ich auch unbedingt treffen und natürlich Rüdiger, der eine Schiffswerft an der Mosel betreibt, gegründet vom Großvater. »Schade, dass du nicht im Sommer da bist«, sagt er. »Einer der schönsten Orte von Trier ist das Nordbad direkt an der Mosel. Man guckt auf die Weinberge und die Felsen gegenüber, es ist herrlich.«

0110wochenmarktIrgendwie kommen wir auf sein Engagement für Behinderte. Seine Mutter Lotti war Busfahrerin für die Lebenshilfe Trier, er selbst, der Diplompädagoge, hat für viele Projekte der Stiftung gearbeitet, unter anderem für das Hofgut Serrig, auf dem 160 geistig Behinderte wohnen und arbeiten. Da sage ich ein zweites Mal »Gibbet nit«. Denn da habe ich am Morgen erst Wurst gekauft.

Auf dem Wochenmarkt am Viehmarkt war mir ein Fleischstand mit extrem langer Warteschlange aufgefallen. Irgendwas musste hier gut sein, also stellte ich mich hinten an und fragte die vor mir Stehenden aus. Tolles Fleisch, prima Projekt, hieß es. Und so ist es: vorzügliche Hausmacher-Salami (Hachtwuuscht auf Trierisch), gutes Huhn, das Schlangestehen hat sich gelohnt.

»Ich engagiere mich nicht für Behinderte, sondern für die Gesellschaft«, sagt Horst zum Abschied. »Mir geht es um ein Land, in dem alle miteinander leben. Man kann so viel von Behinderten lernen, die können einen derart überraschenden Pass in die Tiefe spielen. Ich mag die einfach.« Und ich mag den einfach. Und jetzt muss ich Lotti anrufen.

Aom Ecken I

0108flieten

Nahezu jeder, der mir was zu Trier empfohlen hat, begann oder endete mit den Worten »Und natürlich musst du unbedingt zu Rosi ins Aom Ecken.« Mein erster Besuch im Aom Ecken fand also zum schnellstmöglichen Zeitpunkt statt: Nachmittags um halb fünf, Rosi hatte den Laden gerade wieder zum ersten Mal nach den Feiertagen aufgemacht. Wird ganz schön leer sein um diese Zeit, dachte ich – von wegen, es war halb voll und keine Stunde später war jeder Stuhl besetzt. An einem Mittwochnachmittag.

Der Laden ist eine Trierer Institution, man trifft wirklich jeden hier. Man komme nicht wegen des Essens, hatte man mir gesagt – was ich schon wegen der unfassbar leckeren Moselfische (kleine Rotaugen, schnell frittiert und am besten im Ganzen zu essen) nicht verstehe. Und erst recht nicht, nachdem ich den Trierer Klassiker probiert hatte: Flieten. Das sind Hähnchenflügel, kross ausgebacken, hier sensationell gewürzt, perfekt zum Knabbern. Man muss sich das vorstellen wie Kartoffelchips mit Fleisch dran: komplett suchtbildend. Getrunken wird dazu eine Porz Viez, eine weitere Trierer Spezialität: Apfelwein, serviert im Porzellanbecher. Ich dachte beim ersten Becher noch: Och, die paar Prozent Alkohol – und bestellte mit roten Backen die zweite Porz dann besser als Schorle. Oder wie es hier korrekt heißt: Viez-Sprudel.

0108dirklouyVerabredet war ich mit dem Herrn der Flieten, dem Flietenforscher Dirk Louy. Der betreibt die Website flietenführer.de, für die er sich aufopferungsvoll und gewissenhaft durch alle Trierer Restaurants gegessen hat, die Flieten auf der Speisekarte haben. Und das sind nicht wenige.

Für Dirk war es ein sentimentales Abschiedsessen, denn nach sieben Jahren Trier geht er als Umweltreferent in den Düsseldorfer Landtag. Er liegt in den letzten Zügen seiner Doktorarbeit, die sich mit der DNA des Mohrenfalters beschäftigt. Er war dazu unter anderem in den Alpen und den Karpaten unterwegs und erzählt sehr lustig von den Schwierigkeiten, Schmetterlings-DNA zu konservieren (die Details würden hier zu weit führen). Schmetterlingsforscher, Flietenspezialist, Lokalpatriot – und stellvertretender Kreisvorstand der CDU Trier. Einer der lustigsten Nachmittage seit langem.

Und wie gesagt: Zu Rosi kommen wir später…

Aom Ecken, Maarstr. 45, 54292 Trier, 0651 26444. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 16 Uhr bis zum letzten Gast.

Weltstadtformat

0108mitty Die ältere Dame in der Schlange vor mir: »Wat habense denn heute im Angebot?«
»Walter Mitty, Der Medicus, allerdings auf Englisch, und Sein letztes Rennen. Mit Dieter Hallervorden.«
»Ach, mit dem Didi?«
»Ja, aber nicht lustig.«
»Stimmt, der kann auch ganz anders. Ja, den nehme ich denn.«
Es ist Mittwochmorgen, kurz vor halb zehn, alle anständigen Menschen sitzen im Büro oder tun sonst was für die Volkswirtschaft. Und wir sitzen im Kino. Das Broadway in Trier macht jeden Mittwoch zur Frühstückszeit drei Säle auf, Eintritt sechs Euro, Kaffee und Tee (aus dem Samowar!) gibt es für lau dazu. Großartig. Ich wüsste kein Kino in Hamburg, das so was macht. (Ich übrigens: Walter Mitty. Genau richtig für diese Tageszeit.)