Haltbar

0215apfel Spiekeroog lebt vom Tourismus – manchmal auch auf unvermutete Weise. Als ich bei Margret und Ulrich Bauer zum Tee eingeladen war, gab es Apfelkuchen aus Dünenäpfeln, geerntet von Bäumen, die aus achtlos in die Landschaft gepfefferten Griebschen gewachsen waren. Und seine Nordic-Walking-Stöcke hat Uli Bauer aus dem Müll gefischt, ein Tourist hatte sie entsorgt.

Die beiden sind gerade zurück vom Urlaub auf La Palma, wie viele Insulaner nutzen sie die ruhige Vorsaison, um noch mal zu verschwinden. Ich muss lachen: La Palma, Urlaub auf einer Insel? »Das ist keine Insel für mich«, sagt Margret Bauer, »da gibt es Autoverkehr, sie ist 45 Kilometer lang…« Wir kommen auf die Frage, was einen zum Inselbewohner befähigt. »Uns wird immer die Frage gestellt, ob es hier nicht schrecklich einsam und langweilig sei im Winter. Nein. Es gibt 750 Bewohner, die ständig miteinander und übereinander reden. Wie viele Leute kennen Sie zum Beispiel in Hamburg? Auf einer Insel hat man mehr Kontakt als einer Großstadt, man kann sich nicht verstecken.« Und das könne nicht jeder aushalten. Margret Bauer hat lange im Einwohnermeldeamt der Insel gearbeitet. »Ich habe den Leuten angesehen, ob sie bleiben werden oder nicht.«

1992 hat mein Stern-Kollege Wolfgang Röhl ein sehr gehässiges, inzwischen legendäres Stück über Spiekeroog geschrieben, »In der grünen Hölle«. Es ging darin um die angebliche Öko-Diktatur der Insel, auf der alles verboten sei. »Der Stammgast (mittleres Beamtentum, etwa Studienrat) trägt Birkenstockschuhe, eine wetterfeste Fjällräven-Jacke, ein Fernglas und ein Stirnband, gern in Regenbogenfarben. Seine Frau, zum Beispiel Sozialarbeiterin, hat eine Kurzhaarfrisur à la Anne Steinbeck-Klose und ist für die Kosmetikindustrie verloren. Sie führt immer einen Jutebeutel mit.« Und so weiter. Spiekeroog = Spießeroog. Hätte es damals schon das Internet gegeben, hätte Röhl einen mittleren Shit-Orkan ausgelöst, so war es nur eine Sturmflut an Leserbriefen. Hauptfigur seines Artikels war Uli Bauer, der heute nur milde über den damaligen Aufruhr lächelt. Er war 34 Jahre lang Gemeinderat und für zwei Amtszeiten, 1981 bis 1986 und 1996 bis 2001, Bürgermeister von Spiekeroog. Dass die Insel heute so ist, wie sie ist, das sei zu großen Teilen dem Uli zu verdanken, höre ich an allen Ecken. Wahnsinnig nervig sei er manchmal (einige sagen: meistens), aber maßgeblich am Erhalt von Spiekeroog beteiligt. Eigenhändig hat er aus Treibholz Schilder gebaut, »Bitte nicht die Dünen betreten« darauf geschrieben und sie an strategischen Stellen in die Landschaft gestellt – keine Verbotsschilder, denn in der sogenannten »Zwischenzone« des Nationalparks Wattenmeer dürfte man die Dünen eigentlich auch abseits der Wege betreten, aber als erzieherische Maßnahme ungemein wirkungsvoll. Die Insel hat eine derart ausgedehnte und intakte Dünenlandschaft, dass die Spiekerooger durch die Süßwasserlinsen, die sich darin gebildet haben, keine Wasserlieferung vom Festland brauchen.

Ein paar Tage nach der Tee-Einladung gehe ich drei Stunden lang mit Uli Bauer über die Insel, lerne dabei, wie Dünen geboren werden, vergreisen und sterben (anders als ein Wald erneuert sich eine Düne nicht), wie man ihr Alter am Bewuchs ablesen kann, wie sich die Insel im Lauf der Jahrhunderte verändert hat. Auf fast allen ostfriesischen Inseln liegt der Hauptort an der Westküste, gebaut war er aber einst in der alten Inselmitte – so sehr haben der beständige Westwind und die Wellen das Land im Westen abgetragen und im Osten wieder angeschwemmt. »Bei uns muss man anders denken als auf dem Festland«, sagt Bauer. »Nämlich bei allem die Frage stellen: Wie lange hält das?«

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Ein Fasan wandert durch den Garten, die Viecher sind überall hier. »Die wissen genau, wann Jagdsaison ist«, sagt Bauer, »dann sieht man sie plötzlich nicht mehr.« Und die Rehe? Eines von ihnen sah ich neulich morgens auf einem Dünenkamm, wie es versonnen aufs Meer blickte (ich romantisiere hier wild, wie meistens. Aber bitte, unten ist das Beweisfoto). Wie sind die auf die Insel geraten? »Übers Watt gewandert« sagt Bauer. »Aber oft ertrinken sie auch. Die haben ja keinen Gezeitenkalender.«

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19 Gedanken zu „Haltbar

  1. mano

    an diesen sternartikel erinnere ich mich noch sehr gut! mein leserbrief wurde damals sogar veröffenticht…
    schön, dass du die möglichkeit hattest, mit uli über die insel zu wandern! das haben wir oft bei den bildungsurlauben mit ihm gemacht und diese touren waren immer das highlight der woche.
    weiterhin schöne tage!

  2. kielersprotte

    Absolut geniales Fietefoto heute!!! Tolle Idee mit großer Wirkung. Ist mein aktuelles Lieblingsfietefoto.
    P.S. Und ein sehr interessanter Bericht über die grüne Hölle. . Vielen Dank.

  3. Thea

    Ach Frau Winnemuth – Spiekeroog: schöne heile Welt? Was die Natur anbelangt – unbedingt! Ansonsten würde ich jetzt doch mal gern den Namen einer Kleinstadt bei Aachen lesen (sie heißt Stolberg).

    1. Walli_Saar

      ….ich rätsele, was es im Bezug zu Spiekeroog mit Stolberg auf sich hat (???)….kann das mal jemand auflösen, bevor ich zuviel Hirnschmalz daran verschwende?

          1. Walli_Saar

            ah so! Meinen Dank an beide Aufklärungsbereiten! Das kam bei uns da unten im Südwesten nicht an

          1. Margarete

            Thea, du wolltest gern den Namen Stolberg lesen. Gut, du hast ihn lesen können, nachdem du ihn selbst hingeschrieben hast. Das kann es doch nicht gewesen sein? Du musst doch nicht warten, bis Frau Winnemuth ihn zum Thema macht! Du kannst doch selbst informieren! Ich deute es als Ärger, der aus der Zeile spricht. Ärger,der vermutlich zusammenhängt mit Stolberg, Investoren, Pleite, Leerstand. Es wäre gut gewesen, du hättest deinen Ärger benannt, anstatt es bei kryptischen Andeutungen zu belassen, die man zudem auch als Vorwurf verstehen könnte. Aber auch in der Hinsicht bleibt nur ein ungutes Gefühl, denn was wird eigentlich vorgeworfen? Dass der Name Stolberg noch nicht auftauchte? In welcher Hinsicht und warum er auftauchen sollte, damit lässt du den Leser bzw. Frau Winnemuth wieder allein.

            Außerdem: Rosalinde ist ja, außer ein inniges, kleines Lied zu sein, auch ein gehöriger Ohrwurm! Ich trällere es fortwährend.

            Danke für Hinweise in Richtung: Hamburg singt, Berlin singt.

            Auch den link mit dem Lebensmittelverbrauch in verschiedenen Ländern fand ich toll!

            Da ich schon einmal in Fahrt bin: Stern-Kolumne betreffend: Mir ist schleierhaft, wie das Banane-Aufmachen mit Drücken auf das Ende funktionieren soll, habe schon mehrere Bananen gequetscht, mehr war nicht.

            Und auch noch: Wo ist das Meer? Es gab bisher schöne Dünen- und Strandfotos, die Nordsee wurde uns bisher nur sehr zurückhaltend gezeigt.

            Herzlichen Dank für das an der Reise Teilnehmen-Können!

  4. Pfundi

    Spätestens seit ich Mutter bin, weiß ich, dass „Spießer“ keine Beleidigung ist.
    Sich ewig cool aus allem heraushalten, zeugt nur von Desinteresse.
    Wer ein wenig Mut zur Peinlichkeit hat, kann anderen sehr viel mehr Halt und Kraft geben oder eben helfen, Schönes zu bewahren.
    Ich bin jedenfalls bekennender, toleranter Spießer.

    Pfundi

  5. Walli_Saar

    Auf fein, noch ein Beitrag zum Abschluss des Wochenendes, danke!

    Ein vorausschauend handelnder Bürgermeister, das wünscht man jedem Gemeinwesen – nicht jeder wagt das, ein Hoch auf Herrn Bauer und danke für die schönen Fotos, das sinnende Reh ist ja wie aus einer Geistergeschichte.

  6. Rebecca

    Hihihi, Spießeroog… Aber wie tat es der Kindermund in einer Sparkassenwerbung kund? „Wenn ich groß bin, will ich auch mal Spießer sein…“ Wär doch mal echt BÄÄÄÄÄMMM so zwei Wochen raus aus dem Hipster-Alltag ;-). Viel Spaß noch!

  7. Dievommond

    Dieser ehemalige Bürgermeister sieht aber ziemlich sympathisch aus. Ein Spießer ist der wahrscheinlich nicht, oder? Da wird man ja richtig neugierig, warum es diese Verbotsschilder braucht. Und vorallem: Wie Dünen geboren werden und dann vergreisen und sterben! Wie geht das denn nun konkret?

    liebe Grüße! (auch an diesen sympathischen Exbürgermeister und seine Frau)

      1. Ilona Munique

        Das erinnert mich an eine Pressemeldung mit Versuchsfeld in Münchner Stadtparks: „Hände weg, bitte! Freundliche Hinweise vermindern Vandalismus an wissenschaftlicher Ausrüstung“. http://www.mpg.de/7628338/vandalismus

        Tatsächlich machte es einer Studie nach einen Unterschied, ob eine Bitte, eine neutrale Formulierung oder eine Drohung ausgesprochen bzw. angeschrieben stand.
        Ein offensichtlich äußerst empathischer Altbürgermeister – chapeau!

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